Bernard Hinault im Schnee. Eine rote Schalmütze über dem Sturzring, blaue Fäustlinge, die den Lenker des Gitane Renners umfassen und hinter ihm ein gelb-weiß-scharz lackiertes Renault Team Fahrzeug. Die Bilder der 1980er Ausgabe des ältesten aller Radsport Monumente in den belgischen Ardennen sind unvergessener Bestandteil des großen Narrativ der Radsport Ikonen. Kurz vor der Aufgabe stehend nach Rudy Pevenages couragierter Attacke an der Cote de Stockeu in Stavelot, entschied sich der 25-jährige, damals bereits zweifache Tour de France Gewinner, zu einem eigenen Angriff. An der Cote de Haute-Levee konnte er den Rest seiner Widersacher abschütteln und einen unvergessenen Sieg in widrigsten Bedingungen bei Lüttich Bastogne Lüttich feiern.

Neben diesen unglaublichen Bildern sind auch die nackten Zahlen des Rennens schlicht beeindruckend. Fast 260 Kilometer und 4500 Höhenmeter warten auf die Profis Ende April, wenn die Frühjahrsklassiker in ihre letzte Woche gehen.

Schon mehrfach hatten wir die Region südlich von Lüttich mit dem Rennrad besucht (Vgl. Proximus Challenge – Geants des Ardennes) und natürlich haben wir oft darüber geredet, an der Jedermann Challenge des Klassikers teilzunehmen. 2020 fiel das Unterfangen Corona zum Opfer und auch im Frühjahr 2021 wurde die Veranstaltung zunächst verschoben. An einem anderen, aus traurigem Anlass bedeutenden, Datum, dem 11.09.2021 war es dann soweit. Helmut, Ralf und ich gingen in Lüttich mit vielen anderen Starter*innen aus ganz Europa auf die Strecke.

Um 6:30 Uhr, noch im Dunklen, stürzten wir uns mit einigen hundert anderen Fahrer*innen in die ersten Abfahrt hinab ins Tal Richtung Tilff, einem hübschen Ort unterhalb des Lütticher Stadtteils Seraing. Wir suchten uns eine Gruppe unseres Tempos, was angesichts des ersten Anstiegs schon nach 5 km schwer fiel. Insgesamt halten die ersten 100km bis Bastogne nur wenige „kategorisierte“ Anstiege bereit, aber schon 1500 Höhenmeter. Dass andere Fahrer nicht konsequent die Nachführarbeit leisteten und die Gruppen immer wieder zersplitterten, gesellte sich zu einem frischen Gegenwind als Bürde für die Strecke bis zum Wendepunkt. Es fiel schwer, zusammenzubleiben. Individuellen Stärken beim Bergauffahren, Vorsicht auf den Abfahrten und nicht immer sinnvolles Positionieren führten dazu, dass unsere Absprachen von vor der Veranstaltung nicht eingehalten wurden. Dieser Frust paarte sich mit einem immer frischer werdenden Gegenwind. Die letzten Kilometer bis Bastogne zogen sich in kaskadenartig aufsteigenden Wellen zäh wie Sirup.  Wir erreichten Bastogne in Abständen von einigen Minuten. Das Zusammentreffen in Bastogne verlief nicht ganz spannungsfrei, Unmut wurde z.T. lautstark geäußert und wir machten uns entsprechend „geladen“ an die noch anstehenden 150 km…

Während Ralf erst vorpreschte, sich dann aber etwas zurückfallen ließ, sprang Helmut einer Gruppe hinterher, die uns überholte und mich überraschte, so dass ich eine Weile mit einigen älteren Herren aus den Niederlanden gemeinsame Sache machte. Irgendwann fuhr ich wieder auf Helmut auf, der dann doch auf mich gewartet hatte. Eine Weile taten wir uns mit einem netten Bochumer zusammen, den wir jedoch irgendwann fahren ließen, als es ab Kilometer 170 so richtig ernst wurde.

Ab der Cote de Wanne schließlich kamen die Einschläge in Abständen von 5 bis 8 Kilometern und wie aus dem Nichts tauchten Rampen mit bis zu 24 % auf, welche die meisten Teilnehmer*innen auf dem Rettungsring bezwangen. Natürlich gab es wirklich fitte Menschen, die an einem vorbeiflogen. In Stavelot nahm ich das Eddy Merckx Denkmal zum Anlass eine kurze Photopause zu machen. Ansonsten standen ca. alle 50 Kilometer gut bestückte Verpflegungsstationen bereit. In Stavelot trafen wir schließlich wieder mit Ralf zusammen, die Anstrengung hatte bei allen den Ärger zusammenschmelzen lassen wie Frühlingssonne den Schnee.

So überfuhren wir den wunderschönen, nicht enden wollenden, Col de Rosier gemeinsam und stürzten uns in die Abfahrt, nur um kurze Zeit später die legendäre Redoute und schließlich die Cote de Roche aux Fauchons hinauf zu klettern. Mir machte mein Knie zu schaffen, aber wie heißt es so schön in Englisch: “ The horse smells the barn.“ Abgekämpft aber unfassbar glücklich erreichten wir nach einem weiteren Aufstieg das Ziel, nahmen Medaillen entgegen und ließen das obligatorische Photo machen.

Für mich persönlich war die Liege Bastogne Liege Challenge die anstrengendste Sportveranstaltung an der ich jemals teilgenommen, sicher auch zeitlich die längste. Aber es hat sich gelohnt. Ein grandioses Erlebnis…..das man jedoch nicht aus der kalten Hose fährt.